Kein Wort in den Medien über Widersprüche im Aargauer Bildungssystem
Hundert Tage im Amt: Martina Bircher an der Pressekonferenz vom 22. April 2025 in Aarau

Die Aargauer Bildungsdirektorin Martina Bircher blickt auf ihre ersten 100 Tage im Amt zurück und thematisiert einen der ersten grossen «Widersprüche» im Schulwesen: Während die Gemeinden immer mehr Klein- und Einführungsklassen abschaffen, wollen die Lehrer immer mehr Kinder in die Sonderschule verfrachten. Doch darüber schreiben die Mainstreammedien kein Wort. Warum bloss?

Viele freundliche Worte fallen an der Pressekonferenz, zu der die 41-jährige Aargauer Bildungsdirektorin, Martina Bircher (SVP), nach Ostern einberufen hat. Sie sei beeindruckt von ihrem Mitarbeiterstab (rund 700 Personen), von der Professionalität, Zuverlässigkeit, Loyalität und Ehrlichkeit im Departement. Und die Medien interessieren sich darüber, ob ihre gebrochene Zehe, die sie sich just zum Amtsantritt zuzog, sie bei der Arbeit beeinträchtig habe oder ob jetzt wieder alles gut sei.

Martina Bircher beleuchtete im Mediengespräch die grosse Bandbreite, die das Departement mit sich bringt – Sport, Kulturkonzept und so weiter, um dann aber prominent auf das Thema einzuschwenken, das die Bevölkerung am meisten beschäftigt und das die Kantonsparlamentarier am häufigsten zu Vorstössen motiviert: die Volksschule. Ende April sind zwei weitere Vorstösse zu erwarten: FDP und SVP haben angekündigt, die integrative Schule erneut zum Thema zu machen. Man fordert wiederholt die Schaffung von Förderklassen.

Hohen Zuweisung an die Sonderschulen

Vor diesem politisch brisanten Hintergrund ist auch das Thema «Widersprüche in der Volksschule» einzuordnen, das Bircher aufs Tapet brachte. Während die Einschulungs- und Kleinklassen im Kanton laufend abnehmen, sind die Anfragen zur Zuweisung von Schülern in die Sonderschule stetig gestiegen. 

Konkret: Die Aargauer Gemeinden liessen in den Jahren 1995 bis 2005 noch über 2000 Kinder in Kleinklassen beschulen. Etwa 1800 Kinder wurden nach dem Kindergarten den Einschulungsklassen zugewiesen. Über zwei Jahrzehnte hinweg sind die Zahlen stark rückläufig. Im Jahr 2023 wurden nur noch etwas über 500 Kinder in Einschulungsklassen und noch knapp 500 in Kleinklassen unterrichtet.

Gleichzeitig melden die Lehrer der Regelschule häufig wie nie zuvor die Kinder zur Abklärung auf einen Sonderschulbedarf an. An einigen Schulen betrifft der Ruf nach Sonderschule mittlerweile jeden zehnten Schüler. Zum Vergleich: In der Schweiz werden durchschnittlich 1,9 Prozent auf Sonderschulbedarf abgeklärt. Was wie Bildungspolitik klingt, ist eher Verwaltung durch Verdrängung. Oder sind die Aargauer Kinder überdurchschnittlich beeinträchtigt, autistisch, verhaltensauffällig und dergleichen? Wohl kaum. Die Frage ist, ob ein System, das alle Kinder integrieren will, aber die Unterstützung dafür systematisch abbaut, überhaupt funktionieren kann.

Ursachensuche

Den wahren Ursachen möchte die Bildungsdirektorin auf den Grund gehen – nach dem Motto, das sie bereits vor Amtsantritt in ihrem Zehn-Punkte-Plan angekündigt hatte: «Jedes Kind in der richtigen Klasse zur richtigen Zeit». Dort hält sie fest, dass die integrative Schule, wie heute in den meisten Gemeinden praktiziert, gescheitert sei. Der Realität von zu wenig Heilpädagogen bis hin zum heutigen Schülermix müsse Rechnung getragen werden. 

Birchers Zehn-Punkte-Plan hatte in jenen Kreisen, die an der integrativen Schule festhalten wollten, grosse Unruhe ausgelöst. Links-grüne Kreise wollten zusammen mit Lehrern verhindern, dass die im November gewählte Politikerin ins Bildungsdepartement einzieht und die Nachfolge von Alex Hürzeler antreten kann. Vergeblich.

Im Festhalten an der integrativen Schule, während gleichzeitig rekordverdächtig viele Kinder an die Sonderschule – die separativste Form der Beschulung – überwiesen werden, erkennt Martina Bircher den grössten Widerspruch im Aargauer Schulwesen. Gleichzeitig herrscht darüber das grösste Schweigen im Blätterwald.

Lies dazu auch: «Die integrative Schule könnte jetzt auch im Kanton Aargau abgeschafft werden».

Daniel Wahl

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