Positionspapier.

15 Thesen für ein Bildungssystem mit Zukunft

Ausgangslage

Die Feststellung darf gewagt werden: Ohne die Volksschule wäre die Schweiz nicht, was sie ist. Sie trägt massgeblich zum Erfolg unseres Landes bei, das kaum natürliche Ressourcen hat und das noch bis ins 19. Jahrhundert hinein von verbreiteter Bildungsschwäche, Armut und Auswanderung geprägt war. Neben der Familie ist die Volksschule ein Fundament unserer Gesellschaft. Hier werden die Weichen für die Zukunft gestellt.

Gleichzeitig ist die Volksschule in einer permanenten Krise, die sich in den letzten Jahren noch akzentuiert hat. Die Herausforderungen durch gesellschaftliche Entwicklungen steigen, vom Handykonsum über Helikoptereltern bis zum wachsenden Ausländeranteil. Den Lehrern und Schülern machen aber auch hausgemachte Probleme Sorgen, insbesondere verursacht durch fehlgeleitete Reformen, die sich in der Praxis nicht bewähren.

In diesem Spannungsfeld und angesichts der wiederbelebten bildungspolitischen Debatte legt das Lehrernetzwerk Schweiz hiermit ein Positionspapier vor, das thesenartig aufzeigt, wie die Volksschule aktuelle und künftige Herausforderungen meistern und noch besser werden kann – als lebenswerter Ort des gemeinsamen Lernens und als Basis für ein Bildungssystem mit Zukunft.

1 – Die Klassenlehrer stärken

Eine gute Schule braucht gute Lehrerinnen und Lehrer. Was wie eine Binsenweisheit klingen mag, ist der Schlüssel zu einer funktionierenden und erfolgreichen Schule. Abgesehen vom Fachwissen, von den menschlichen und persönlichen Voraussetzungen ist für den Bildungserfolg zentral, dass Lehrer und Schüler in einer positiven, das Lernen fördernden Beziehung stehen. Der Klassenlehrer ist die zentrale Bezugsperson für die Schüler, im besonderen Masse in den unteren Jahrgangsstufen. Heute wird dieses Prinzip jedoch vorsätzlich geschwächt, nicht zuletzt durch die Ausbildung an den Pädagogischen Fachhochschulen (PH), welche – insbesondere an der Oberstufe – stark auf ein Fachlehrermodell setzt. Vielerorts herrscht aber bereits bei den Kleinen ein Wirrwarr von verschiedenen Lehrern, Teilzeitlehrern, Fachlehrern, Hilfslehrern und allerlei sozialem und therapeutischem Zusatzpersonal. Die Position des Klassenlehrers muss deshalb wieder gestärkt werden – an der Primar- wie an der Oberstufe. Die Ausbildung an den PH muss dies im Fächerkanon berücksichtigen. Lehrerinnen und Lehrer, welche nach einer fünfjährigen Ausbildung nur eine Unterrichtsbefähigung für drei Nebenfächer haben, darf es nicht mehr länger geben.

2 – Bürokratie abbauen

Fragt man die Lehrerinnen und Lehrer, wo sie der Schuh drückt, dann steht weit oben die durchaus berechtigte Klage über den wachsenden bürokratischen Aufwand: zu viele Sitzungen, Formulare, Vorschriften, zu viel Koordinierungsaufwand und Teambildungsevents. Verantwortlich dafür sind eine Reihe von verfehlten Schulreformen. Damit gerät vielfach das Kerngeschäft unter Druck: das Unterrichten. Wir fordern deshalb eine Reduktion des bürokratischen und administrativen Aufwands, damit sich die Lehrer wieder auf ihre Kernaufgabe fokussieren können. Ein grosser Vorteil des Lehrerberufes ist schliesslich die Freiheit, die er bietet. Zu viele Vorgaben und Regelungen von oben schaden deshalb der Attraktivität des Lehrerberufs und sind abzulehnen.

3 – In die Tiefe statt in die Breite lernen

Die Schüler lernen heute immer mehr in die Breite – und nicht in die Tiefe. Es werden allerlei Themen und Stoffe an sie herangetragen, aber oft nur oberflächlich behandelt. Hier gilt deshalb: weniger ist mehr. Das heisst konkret: Lieber wenige Themen, die gründlich verstanden werden, als viele, von denen letztlich nichts wirklich hängen bleibt. Das gibt wieder mehr Raum fürs Üben und fürs Training.

In diesem Zusammenhang sind auch die Fremdsprachen zu erwähnen. Es mag gut gemeint gewesen sein, in der Praxis hat sich die Einführung von Fremdsprachen schon in der Primarschule nicht bewährt. Der Lernerfolg ist bescheiden. Aufwand und Ertrag stehen in keinem Verhältnis. Wir fordern darum: Experiment abbrechen, Frühenglisch und Frühfranzösisch sind wieder abzuschaffen.

4 – Fokus auf Deutsch und Mathematik

Statt ineffizientem Fremdsprachenunterricht, der viele überfordert, sollten Deutsch und Mathematik, aber auch die handwerklichen Fächer, welche im Zuge des Lehrplanes 21 geschwächt wurden, wieder höher gewichtet werden. Der Befund ist alarmierend: Rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler kann nach Abschluss der Volksschulzeit nur ungenügend lesen, so die Pisa-Studie. 2 Defizite bestehen auch beim Rechnen. Dabei handelt es sich um Kernkompetenzen, die über Chancen und Erfolgsperspektiven im weiteren Leben mitentscheiden. Die Schule muss wieder fähig sein, dafür zu sorgen, dass am Ende der obligatorischen Schule alle lesen, schreiben und rechnen und ohne grössere Probleme eine Lehre oder weiterführende Schule absolvieren können.

5 – Klassischen Fächerkatalog wiederherstellen

An der Volksschule gibt es keine Geschichte, keine Geografie, keine Hauswirtschaft mehr, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Klassische Fächer wurden abgeschafft beziehungsweise zu neuen Fächerkonglomeraten und Fachbereichen verschmolzen. Das nennt sich dann «Räume, Zeiten, Gesellschaften» (RZG) oder «Wirtschaft, Arbeit, Haushalt» (WAH). Erfahrungsgemäss erschwert dies die Orientierung der Schüler und macht es auch für Lehrer komplizierter (von den Eltern, die sich unter «RZG» oder «WAH» oft nichts Konkretes vorstellen können, nicht zu reden). Deshalb verlangen wir die Wiederherstellung des klassischen Fächerkatalogs.

6 – Lehrplan 21 vereinfachen

Der Lehrplan 21, als grosser Wurf der Erziehungsdirektorenkonferenz verkauft, erschwert das Unterrichten mehr, als dass er es erleichtert. Auf Hunderten von Seiten werden Tausende von schwammigen «Kompetenzen» definiert, anstatt Leitplanken zu legen. Unsere erfahrungsgesättigte Meinung: Es ist dringend angezeigt, den Lehrplan 21 abzuspecken und zu vereinfachen – es wird ihn niemand in dieser Form vermissen (ausser vielleicht die Bildungsbürokraten, die ihn entworfen haben).

7 – Bewusste Lehrmittel-Selektion

Aufgrund der unüberschaubaren Fülle von 363 «Kompetenzen» und 2304 «Kompetenzstufen», die gemäss Lehrplan 21 vermittelt werden sollen, sind die Lernziele nicht mehr messbar. Sie sind daher unverbindlich und willkürlich geworden. Daher wird der Unterricht zunehmend von Lehrmitteln bestimmt und gesteuert – Lehrmittel, die insbesondere von praxisfernen Bildungsbürokraten in Auftrag gegeben wurden. Der Katalog dieser bedeutenderen und teurer gewordenen, teilweise auch ideologisierten Bücher, Hefte und CDs, die von Bildungsdirektionen und Schulleitungen empfohlen oder verordnet werden, muss in zahlreichen Kantonen überarbeitet werden. Darüber hinaus muss den Lehrerinnen und Lehrern eine grösstmögliche Freiheit zugesprochen werden, mit welchen Lehrmittel sie arbeiten möchten.

8 – Integrative Schule abschaffen

Die integrative Schule verfolgt ein nachvollziehbares, durchaus wünschenswertes Ziel: Niemand soll ausgeschlossen werden, Kinder mit Beeinträchtigungen und allerlei Auffälligkeiten sollen in den Regelklassen mitgenommen werden. Doch dieses Experiment ist gescheitert. Problematisch sind vor allem die stark verhaltensauffälligen Kinder. Unsere Erfahrung ist: Es braucht nur wenige Störenfriede, um eine ganze Klasse zu destabilisieren. Die Lehrer sind dann mit Disziplinarmassnahmen beschäftigt, statt sich dem Unterrichten widmen zu können. Die Leidtragenden sind wiederum die ganz «normalen», oft auch die schwächeren Schüler – ein Teufelskreis. Wir unterstützen deshalb die Forderung, das Experiment «integrative Schule» abzubrechen und allen Schülern wieder jenes Lernumfeld zu schaffen, das für sie optimal geeignet ist, um ihr spezifisches Potenzial zu entfalten. Dazu wäre es wichtig, wieder Förderklassen einzuführen, um Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen optimal zu unterstützen. Kinder, welche der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sollten so lange in Integrationsklassen unterrichtet werden, bis sie sich in der Unterrichtssprache verständigen können.

Ganz generell fordern wir Klassen mit maximal 20 Schülern. Die entstehenden Mehrkosten können ausgeglichen werden, indem weniger Sonderpersonal eingestellt wird. Denn eine Klasse von bis zu 20 Schülern lässt sich meist gut von einem Lehrer führen.

9 – Schluss mit der «Reformitis»

Die Schule ist zu einem Testgelände für pädagogische Experimente geworden, eine Reform jagt die nächste. Wir plädieren nicht für Stillstand, sinnvolle Neuerungen sind zu begrüssen. Tatsache ist jedoch: Die meisten Schulreformen haben nicht gehalten, was uns Bildungspolitiker und Experten versprochen haben. Es waren Reformen von oben, verordnet von Bürokraten und Theoretikern. Der ehemalige Lehrer und Autor Daniel Wirz schreibt dazu: «Das kann nicht gut gehen. Die Initiativkraft des einzelnen Lehrers, der einzelnen Lehrerin wird damit korrumpiert. Lehrkräfte fühlen sich übergangen, zu Vollzugsbeamten degradiert und entmündigt.» Die Lehrer wissen am besten, was funktioniert – woraus wir folgern: Wenn wir die Schule sinnvoll und erfolgreich reformieren wollen, dann müssen die Impulse von unten, von der Basis kommen. Die Lehrer sind unbedingt miteinzubeziehen.

10 – Digitalisierung sinnvoll nutzen

Die Digitalisierung hat längst Einzug in die Schule gehalten. Das ist weder gut noch schlecht, jede technologische Entwicklung birgt Chancen und Risiken. Kritiker mahnen, dass exzessiver Handykonsum die Jugendlichen in ihrer Entwicklung beeinträchtige, psychische Erkrankungen hervorrufe, bewegungsfaul mache. Umgekehrt bewegen sich die Jungen virtuos in der digitalen Welt und bringen so Fertigkeiten mit, die in Zukunft vermehrt gebraucht werden. Eine moderne Schule vermittelt einen sinn- und massvollen Umgang mit den digitalen Möglichkeiten und schult primär die digitalen Kompetenzen für die Berufswelt. An der Primarschule ist der Einsatz von digitalen Geräten auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Dabei haben auch die Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nachzukommen.

11 – Auf duales Bildungssystem vorbereiten

Die Schweizer Berufslehre ist weltweit einzigartig. Viele beneiden uns um das duale System mit Ausbildung im Lehrbetrieb und in der Berufsschule. Dank dieser Nähe zu Arbeitspraxis, Industrie und Gewerbe hat die Schweiz im internationalen Vergleich eine herausragend tiefe Jugendarbeitslosigkeit. Die Lehre bereitet die Lehrlinge massgeschneidert auf das Berufsleben vor. Umgekehrt muss aber auch die Schule darauf achten, dass die handwerklichen und musischen Fächer nicht zu kurz kommen. Nicht jeder muss aufs Gymnasium.

Neben dem Kopf sind auch Hand und Herz anzusprechen. Eine gute Schule ist darum besorgt, dass jeder das Beste aus sich herausholen kann. In diesem Zusammenhang fordern wir auch mehr echte Individualisierung. Gerade an der Oberstufe soll es vermehrt möglich sein, dass die Schüler mitentscheiden, welche Fächer sie belegen möchten. Es macht absolut keinen Sinn, Schülern im tiefsten Niveauzug drei Stunden Französisch aufzuzwingen. Hier würde es mehr bringen, wenn z. B. eine grössere Anzahl Lektionen handwerklicher Fächer gewählt werden könnte, die einem in der Lehre weiterhelfen. Auch bei den Fremdsprachen sollte man sich bei den tiefen und mittleren Niveauzügen, wenn gewünscht, auf eine Sprache nach Wahl beschränken können.

12 – Offener Diskurs statt ideologische Vereinnahmung

Die Schule ist vermehrt ideologischen Einflüssen ausgesetzt. Gesamtgesellschaftliche und politische Tendenzen wie eine Verengung des Meinungskorridors und das handfeste Bemühen des Staates, die Bürger in eine bestimmte Richtung zu lenken («Lenkungs- und Nachtwächterstaat»), manifestieren sich auch im Klassenzimmer. Gender-Ideologie und Frühsexualisierung, oftmals vorangetrieben von externen Lobbygruppen, oder aktivistische Unterrichtseinheiten im Zuge der «Umweltbildung» – Stichwort: «Klimawandel» – ersetzen eine sachliche, auf Argumente und Vernunftgründe gestützte Auseinandersetzung. Wir fordern einen offenen Diskurs, der die Schüler zum eigenständigen Denken anregt, statt sie ideologisch zu vereinnahmen. Wir fordern die Bildungsverantwortlichen auf, die Selbstbestimmung der Familien zu stärken, statt sich deren Aufgaben zu bemächtigen und in den Unterricht zu integrieren.

13 – Autonomie der Schule wahren

Die Corona-Zeit hat es drastisch vor Augen geführt: Die Schule ist ständig in Gefahr, zum Spielball von ausserschulischen Interessen zu werden, insbesondere auch solchen der Staatsmacht. Ihr wurden gesundheitspolitische Massnahmen aufgedrückt, die nicht wissenschaftlich fundiert und oft sogar kontraproduktiv, gesundheitsschädigend und diskriminierend waren (Maskenpflicht etc.). Das Lehrernetzwerk Schweiz fordert mit Nachdruck, dass solche Eingriffe in die Erziehungsverantwortung der Eltern und nicht des Staates gehören.

14 – Ausbildung an Pädagogischen Hochschulen auf Praxis ausrichten

Die heutige Lehrerbildung an den Pädagogischen Hochschulen ist akademisch und theoretisch. Es mangelt an praktischer Erfahrung. Wir müssen uns klar sein, dass Volksschullehrer kein akademischer, sondern ein Führungsberuf ist, mit dem eine grosse Verantwortung einhergeht. Junglehrer sind nach der verkopften Ausbildung an den PH häufig überfordert, wenn sie vor eine Klasse treten. Die Lehrerbildung muss darum die praktisch-pädagogischen Fähigkeiten wieder vermehrt in den Vordergrund rücken und die angehenden Lehrer und Lehrerinnen konkret und praxisnah auf den Berufsalltag vorbereiten. Ferner fordern wir, dass der Abschluss einer Fach- oder Berufsmaturität zum Zugang an die PH berechtigt und zwar für die Primar- wie für die Oberstufe.

15 – Freie Schulwahl ermöglichen

Das Lehrernetzwerk Schweiz steht zur Institution Volksschule. Wir sind jedoch überzeugt, dass es auch Alternativen geben muss. Mehr Wettbewerb und Konkurrenz können der Volksschule nur guttun. Ein mögliches Modell sind Bildungsgutscheine, die eine freie Schulwahl ermöglichen. Die Volksschule müsste sich dann im Direktvergleich messen, was der Qualität des gesamten Bildungssystems zugute käme.

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