Zürichs Befreiungsschlag – Warum das Frühfranzösisch endlich kippen muss
Silvia Steiner - Argumente wie von einem anderen Planeten. Bild: dw

Von Daniel Wahl

Der Entscheid des Zürcher Kantonsrats von Montag, 1. September 2025, markiert eine Wende in der Bildungspolitik: Gegen den Willen der eigenen Regierung hat das Parlament das Frühfranzösisch beerdigt. Die überwiesene Motion der Mitte-Kantonsrätin Kathrin Wydler verlangt, dass Französisch erst ab der Oberstufe unterrichtet wird. Also ab der ersten Sekundarklasse oder im Langzeitgymnasium und nicht mehr wie gehabt ab der fünften Klasse der Primarschule.

Die Motion wurde mit 108 zu 64 Stimmen bei 0 Enthaltungen angenommen. Dafür ausgesprochen haben sich Mitte, EVP, FDP, SVP und GLP mit zwei Ausnahmen. Dagegen waren Alternative Liste, SP und Grüne, sowie die Zürcher Bildungsdirektorin Silvia Steiner.

Schon der Kanton Appenzell Ausserrhoden hat sich für die Abschaffung des Frühfranzösisch ausgesprochen. Dass nun ausgerechnet Zürich, der bevölkerungsreichste Kanton und einer der bildungspolitischen Taktgeber, auch diesen Schritt wagt, hat Signalwirkung weit über die Kantonsgrenzen hinaus. Es ist der Befreiungsschlag aus einem jahrzehntelangen bildungspolitischen Dogma.

Die Begründungen zur Abschaffung des Frühfranzösisch sind eindeutig:

  • Zu wenig Wirkung: Trotz erheblichem Zeitaufwand erreichen mehr als die Hälfte der Primarschüler die Lernziele nicht.
  • Überforderung statt Bildung: Mit Hochdeutsch, Englisch und Französisch sind Kinder sprachlich überlastet – besonders jene mit Migrationshintergrund.
  • Besserer Zeitpunkt: In der Oberstufe können Schülerinnen und Schüler komplexe Sprachen effizienter und mit mehr Motivation lernen.

Die Argumente Steiners gegen die Abschaffung von Frühfranzösisch klingen wie von einem anderen Planeten: Es fände «eine Nivellierung nach unten» statt, behauptete sie im Kantonsrat. Und eine Verschiebung des Französischunterrichts auf die Sekundarstufe würde das System noch mehr überhitzen. Weshalb das so ist, konnte sie nicht darlegen. Steiner, die kaum je die Bedürfnisse der Kinder im Fokus hat, befürchtet – und damit hat sie wohl recht – Folgekosten für neue Lehrmittel, überarbeitete Lehrpläne und die Anpassung der Lehrpersonenausbildung.

Das Märchen vom Landeszusammenhalt

Seit Jahren stellten sich die Erziehungsdirektionen wie Steiner, wie auch der Basler alt Regierungsrat und ehemalige Präsident der Erziehungsdirektorenkonferenz Christoph Eymann oder Bundesrat Alain Berset gegen jegliche Korrektur dieses Frühfranzösisch-Irrweges. Und Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zeigte sich jüngst gar bereit, den Kantonen die Bildungshoheit zu entziehen, indem sie einen Mythos beschwört: Der nationale Zusammenhalt hänge am Frühfranzösisch. Diese Behauptung ist bestenfalls romantisch, schlimmstenfalls ideologisch verbohrt. Wer in den 1960er- oder 1970er-Jahren zur Schule ging, lernte Französisch erst in der Oberstufe – und der Landeszusammenhalt stand deswegen nicht infrage. Im Gegenteil: Er lebte von Begegnungen, Austausch und gegenseitigem Respekt, nicht von ein paar Vokabeln in der vierten Klasse. Und wäre es wahr, dass der Landeszusammenhalt tatsächlich vom Erlernen der Landessprache in der Primarschule abhängen würde, dann wäre das Tessin längst der Lombardei zugeschlagen und die Deutschschweizer hätten der Sonnenstube den Krieg erklärt, weil in kaum einer Deutschschweizer Primarschule Italienisch unterrichtet wird. Mumpitz also, was die Magistraten anführen.

Sprachlast statt Bildung

Die Realität heute ist ernüchternd. Mehr als die Hälfte der Zürcher Primarschüler verfehlt die Lernziele im Frühfranzösisch. Die nationale Überprüfung der Grundkompetenzen bestätigt: Nur sieben Prozent der Realschülerinnen und Realschüler (tiefstes Niveau an der Oberstufe) erreichen die Mindestziele – in einem der teuersten Bildungssysteme der Welt. Woran liegt’s? Die Primarschule ist mit zwei Fremdsprachen, ergänzt durch die dritte Fremdsprache Hochdeutsch, überfrachtet.

Kinder mit Migrationshintergrund jonglieren oft mit vier Sprachen – und scheitern. Die Folge: Überforderung statt Verständigung, Sprachverwirrung statt Spracherwerb.

«Kinder mit Migrationshintergrund jonglieren oft mit vier Sprachen – und scheitern. Die Folge: Überforderung statt Verständigung, Sprachverwirrung statt Spracherwerb.»

Falscher Zeitpunkt, falsches Versprechen

Frühfranzösisch war nie ein pädagogisches Erfolgsmodell, sondern ein politisches Projekt. Auf der Primarstufe bleiben Fortschritte minimal, weil der Unterricht unspezifisch ist und die Kinder sprachlich noch nicht differenziert gefördert werden. Erst in der Oberstufe – wenn Schülerinnen und Schüler reifer sind, Lernziele klar definiert werden und der Unterricht ihrem Niveau angepasst ist – kann Spracherwerb gelingen. Dann macht Französisch plötzlich Sinn: verbunden mit Reisen, Freundschaften, Austauschprogrammen.

Das Lehrernetzwerk Schweiz hat darum in seinem Positionspapier (siehe positionspapier.ch) schon früh Stellung gegen das Frühfranzösisch genommen und fordert das «Experiment abzuschaffen» und den Fokus auf Deutsch und Mathematik in der Primarschule zu richten.

Ein notwendiger Kurswechsel

Zürich hat nun entschieden, was längst überfällig war: Eine Fremdsprache genügt auf der Primarstufe. Französisch gehört in die Oberstufe, wo es wirklich gelernt werden kann. Dieser Entscheid ist kein Affront gegen die Westschweiz, sondern eine pädagogisch vernünftige Korrektur – und ein wichtiger Schritt zurück zu einem Bildungssystem, das den Kindern dient statt politischen Ideologien.

Die Zürcher Bildungsverwaltung muss nun innerhalb von zwei Jahren eine Vorlage zur Abschaffung des Frühfranzösisch ausarbeiten. Wird diese verabschiedet und dagegen nicht das Referendum ergriffen, wird der Lehrplan 21 zumindest im Kanton Zürich schlanker, der bevölkerungsreichste Kanton wird das sogenannte Harmos-Konkordat kündigen müssen. Das Harmos-Konkordat ist die «Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule» und beschreibt die Eckwerte der Harmonisierung. Das Konkordat enthält Bestimmungen zur Einschulung, zur Dauer der Bildungsstufen und zur Zielharmonisierung. Die Austrittsfrist dauert drei Jahre. Das heisst: Ein Kanton, der kündigt, bleibt noch drei Jahre lang an die Bestimmungen gebunden, bevor der Austritt wirksam wird, wie der «Tagesanzeiger» schreibt. 

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