Smartphones bremsen Leistungen unserer Schüler

Von Daniel Wahl
Sie sind immer dabei: im Schulbus, in der Garderobe, in der Pause, sogar beim Aufwärmen. Smartphones gehören heute so selbstverständlich zum Alltag junger Sportler wie Schoner und Sportschuhe, und zum Schüler wie Etui und Bleistift. Doch das, was Jugendlichen und jungen Erwachsenen ständige Unterhaltung, Kontakt und Ablenkung bietet, hat eine Schattenseite: Die kleinen Bildschirme rauben Konzentration, verlangsamen Reaktionen –
und können in entscheidenden Momenten die Leistung drücken.
Das klingt nach Techno-Skeptizismus, ist aber neurobiologisch messbar. Denn die Jahre zwischen 7 und 25 sind eine hochsensible Phase: Man trainiert nicht nur die Muskeln; das Gehirn ist im permanenten Umbau. Dabei wird das Belohnungssystem besonders empfänglich für Reize, und der präfrontale Cortex – das Kontrollzentrum im Gehirn für Impulse, Planung, soziale Kontrolle – reift erst aus. Es ist eine Phase, die über fast zwei Jahrzehnte dauert.
Junggehirn in Entwicklung
Die exekutiven Funktionen – also das, was sportliches Denken und Entscheiden eigentlich ausmacht – sind noch in Entwicklung. Genau diese Bereiche werden durch digitale Reizüberflutung überlastet. Was heute in der digitalen Welt passiert, prägt dauerhaft, wie Jugendliche denken, lernen und handeln.
Im Alarmmodus
Plattformen wie TikTok, YouTube oder Mobile Games arbeiten mit einem simplen, aber wirkungsvollen Mechanismus: schneller Reiz, kleiner Dopaminschub. Bei jedem Wischen signalisiert der Impuls dem Gehirn: «Da könnte etwas Spannendes kommen!» – und erhält dafür ein Mini-Belohnungsfeuerwerk. Passiert das 50, 100 oder 300 Mal am Tag, verändert sich die Funktionsweise des Denkens.
Diverse Studien, die für den EV Zug, den grössten Eishockeyklub der Zentralschweiz, zusammengefasst wurde, zeigen: Schon 30 bis 60 Minuten Konsum von sogenannten Short-Videos senken die Fähigkeit, sich bewusst und stabil auf eine Aufgabe zu konzentrieren. Die Gehirnwellen geraten aus der Balance: Der entspannte Alpha-Zustand nimmt ab, der Theta-Bereich – wichtig für tiefes Lernen – wird unterdrückt. Gleichzeitig steigt die Beta-Aktivität: Es ist ein Zustand innerer Unruhe, der zwar wach macht, aber jedes fokussierte Denken erschwert.
Stille Schwächung der Leistung
Wer direkt nach solch einer Phase ins Sporttraining steigt, bringt ein überdrehtes Gehirn mit. Und das zeigt sich insbesondere auf dem Sportplatz.
Im Eishockey – einem Sport, in dem Millisekunden zählen – lässt sich die Wirkung besonders drastisch beobachten. EEG-Analysen und Reaktionstests belegen: Nach einer Stunde intensiver Smartphone-Nutzung verlangsamt sich die Reaktionszeit um 120 bis 250 Millisekunden. Das klingt nach wenig, ist im Sport aber eine Ewigkeit: Ein Goalie sieht einen Schuss später, Spieler verpassen freie Laufwege, entscheiden impulsiv statt taktisch.
Wie Smartphones die Aufmerksamkeit reduzieren
- Bereits 10 bis 15 Minuten intensives Scrollen senkt die selektive Aufmerksamkeit messbar.
• Nach 30 bis 60 Minuten sinkt die Aufmerksamkeitsspanne von Jugendlichen um 50 bis 70 Prozent.
• Das Gehirn gewöhnt sich an schnelle Reize – «langsame» Aufgaben fühlen sich anstrengender an.
Doch auch weniger offensichtliche Folgen sind gravierend. Ein Smartphone-Abhängiger leistet sich mehr Fehler, er zeigt schlechtere Lernleistung von Bewegungsmustern, ein erhöhtes Verletzungsrisiko und geringere emotionale Kontrolle. Die Spieler reagieren schneller gereizt, impulsiver, unkonzentrierter.
Das Tückische daran: Die Jugendlichen merken es selbst nicht. Sie fühlen sich nicht «abgelenkt», sie spüren nur, dass sie «nicht richtig im Spiel» sind – ohne zu verstehen, warum.
Folgen im Schulzimmer
Wenn selbst im Sport, wo Motivation und Bewegungsfreude natürlich vorhanden sind, die Fähigkeit zur Selbststeuerung erst spät entsteht, gilt das im Schulzimmer umso mehr. Kinder zwischen 6 und 12 Jahren lernen stark über Beziehung, Wiederholung, Präsenz – und Pausen. Sie können sich auf eine Aufgabe konzentrieren, wenn äussere Reize begrenzt und klar strukturiert sind.

Smartphones wirken jedoch wie ein Gegenprogramm:
- Sie zerhacken Aufmerksamkeit in Sekunden.
- Sie setzen ein Belohnungssystem in Gang, das schneller wirkt als jedes Schulbuch.
- Sie stimulieren Dopamin-Schübe, die das Gehirn auf Sofortreaktionen trainieren.
- Sie verkürzen die Fähigkeit, Frustration auszuhalten – eine zentrale Kompetenz für jede Lernentwicklung.
Die Studie zeigt, dass Belastungssteuerung, also der Umgang mit Reizen und Druck, erst sehr spät heranreift. Ein 10-jähriges Kind, das ein Smartphone in der Pause nutzt, kämpft mit Reizen, die sein Gehirn nicht einordnen kann. Im Sport würde ein Trainer niemals eine Übung verlangen, für die ein Kind biologisch noch gar nicht bereit ist. In der Schule jedoch passiert genau das vielfach täglich und oft sogar unter Anordnung eines Lehrers.
Mentale Ermüdung
Übertragen auf die Schule bedeutet das: Kinder, die in jeder Pause am Bildschirm hängen, kommen mental erschöpft aus der Pause zurück – ausgerechnet in dem Moment, in dem sie eigentlich neue Inhalte aufnehmen sollten. Pausen verlieren damit ihre wichtigste Funktion: Regeneration. In der Folge nimmt die Ausdauer im Lernen ab, die Frustrationstoleranz schrumpft. Am Ende bildet sich ein Gehirn aus, das immer auf schnelle Reize wartet – und sich mit «langweiligen» Aufgaben wie Techniktraining, Taktik oder Regeneration schwertut.
Hier zeigt die Sportstudie ihre eigentliche Tragweite: Wenn selbst trainierte Kinder und Jugendliche unter mentaler Belastung deutlich schlechter performen – wie sollen Primarschülerinnen und -Schüler damit umgehen?
Was Eltern und Schulen daraus lernen können
Verbote sind keine Feindseligkeit, sondern Hirnschutz. Wie im Sport gibt es Reifephasen.
Ein Kind vor der Pubertät ist neurologisch schlicht nicht bereit für Social-Media-Dynamiken. Der Unterricht braucht klare Reizhygiene.
- Klassenzimmer, in denen Smartphones griffbereit liegen, verlieren ihre Lernruhe – selbst wenn das Handy nicht aktiv benutzt wird.
- Pausen müssen wieder Pausen sein.
- Bewegung, soziale Interaktion und Langeweile fördern Gehirnentwicklung – Scrollen nicht.
- Leistung entsteht durch Timing – nicht durch ständigen Input.
- Sport wie Schule leben von Rhythmen, nicht von Dauerbeschallung.
Die gute Nachricht: Das Gehirn ist formbar – auch in die positive Richtung. Junge Sportler haben einen grossen Vorteil – sie reagieren schnell auf Veränderungen. Schon kleine Anpassungen wirken stark.
Das Lehrernetzwerk interveniert bei den Kantonen
Inspiriert von den Kantonen Nidwalden und Aargau, die dieses Jahr ein flächendeckendes Handyverbot eingeführt haben, hat das Lehrernetzwerk Schweiz alle Deutschschweizer Bildungsdirektionen aufgefordert, gleich zu ziehen. Den Verantwortungsträgern wurden in einem Schreiben zahlreiche Studienresultate zu den Folgen einer ungebremsten Digitalisierung im Bildungswesens vorgelegt. Denn wir beobachten besorgt, dass die digitalen Geräte an den Schulen die Lehrer und Lehrerinnen teilweise ersetzen und den beziehungsbasierten Unterricht reduzieren.
Der Eindruck, der nach Eingang der Antworten aus den Bildungsdirektionen entstanden ist: Sie halten die Digitalisierung für ein «umstrittenes Thema» – man müsse beiden Seiten gerecht werden – der Wirtschaft und den Bedenkenträgern. Die Dramatik der neurologischen Veränderungen im Gehirn der Kinder scheinen sie jedoch nicht erfasst zu haben.
So geht es den Verwaltungsbeamten im Kanton Schwyz nicht um das Wohl der Kinder, sondern darum, die Hände in Unschuld waschen zu können: «Wir halten fest, dass die erwähnten Nebenwirkungen eines zu hohen Handykonsums sicherlich nicht den Schulen angerechnet werden können, sondern primär der privaten Nutzung elektronischer Medien geschuldet sind», schreibt Landamman Michael Stähli.
«Uns ist bewusst, dass die Einführung digitaler Technologien im Unterricht nicht alle Beteiligten im schulischen Umfeld in gleichem Masse überzeugt. Wir sind jedoch überzeugt, dass die verfolgte Strategie eine tragfähige Grundlage für eine zukunftsfähige Bildung im digitalen Kontext bildet, schreibt der Walliser Staatsrat Christophe Darbellay.
In Bern steht die Förderung der Medienkompetenz im Fokus. Das führt dazu, dass eine Lehrerin ihre Kinder dazu anhält, die Turnübungen auf dem Tablet aufzuzeichnen, um sie benoten zu können, statt Noten im Direktkontakt zu geben.




