«Wir stossen in den alarmierendsten Bereich des Handygebrauchs vor»

Eine Petition, die den Sozial-Media-Zugang für Jugendliche unter 16 Jahren verbieten will, geht viral. In nur drei Wochen ist sie von über 35’000 besorgten Eltern und Lehrern unterschrieben worden. Das Ziel, in einem halben Jahr Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider 100’000 Unterschriften überreichen zu können, ist realistisch. Doch die Forderung der Petition ist auch umstritten. Die Petitionärin und Nationalrätin Nina Fehr Düsel (SVP) stellt sich unseren kritischen Fragen.
Nina Fehr Düsel, die Nidwaldner haben am ersten Maiwochenende als erster Kanton ein flächendeckendes Handy-Verbot an Schulen beschlossen. Hast du dich darüber gefreut?
Ja, das ist eine gute Entwicklung, im Unterricht hat das Handy nichts verloren. Auch wenn ich die Eigenverantwortung hochhalte, befürworte ich das Verbot an Schulen, denn die Kinder lassen sich durch die Geräte stark ablenken, und die Lehrer müssen ständig darum kämpfen, dass sie ausgeschaltet bleiben. Einzelne Schulen, wie in unserer Wohngemeinde Küsnacht (ZH), haben das Handyverbot längst eingeführt. Eine einheitliche, kantonsweite Regelung, wie es Nidwalden beschlossen hat, ist natürlich sinnvoller.
Du gehst zusammen mit zwei Unternehmerinnen aus Küsnacht weiter: Eure Petition «Schützt unsere Kinder – Likes sind kein Kinderrecht» will den Social-Media-Zugang für Jugendliche unter 16 Jahren verbieten. Warum wollt ihr diese Form der Kommunikation unter Kindern und Jugendlichen einschränken?
Mit der Petition stossen wir in den alarmierendsten Bereich des Handygebrauchs vor: Die Plattformen sind Tummelplatz für Cybermobbing und Fakenews. Früher wurden die Kinder in der Schule und auf dem Nachhauseweg gehänselt. Heute ist das bis nachts im Schlafzimmer möglich. Man weiss nicht mehr, was echt und was unecht ist. Mehrere Studien belegen den Zusammenhang zwischen der grossen Zunahme von Jugenddepression und dem Gebrauch von Social Media. Zeitbeschränkungen sind denkbar – aber aus eigener Erfahrung weiss ich: Eltern stossen dabei schnell an ihre Grenzen, weil die Kinder sehr clever sind.
Darum geht es:
- Einführung einer gesetzlichen Altersgrenze von 16 Jahren für Social Media – analog zu Alkohol, Tabak oder Glücksspiel
- Unterstützung einer nationalen Präventions- und Aufklärungsstrategie für Eltern, Schulen und Kinder
- Verpflichtung der Plattformen zur zuverlässigen einer Altersverifikation.
Die Digitalisierung der Kinderwelt ist tatsächlich ein Fluch. Wie aus dem Kanton Aargau bekannt wurde, leidet die Sprachentwicklung; man spricht in diesem Zusammenhang von Tablet-Kindern, wenn sie schon ab dem Säuglingsalter von den Geräten «parkiert» werden. Sollte man darum nicht schon viel früher und umfassender bei der Einschränkung des Medienkonsums ansetzen, anstatt nur den Social-Media-Zugang verbieten?
Die Zugangsbeschränkung zu den Social-Media ist nur ein Punkt im ganzen Umgang mit den Handys. Unsere Petition setzt dort an, weil diese Plattformen für Kinder besonders gravierende Probleme mit sich bringen. Aber unsere Petition nimmt ja auch das Thema des gesellschaftlichen Umgangs mit dem Handy auf: Sie fordert Prävention und Sensibilisierung. Ich fand es erschreckend, als ich in einer Hotellobby eine Familie sah, die jeder für sich in ein Gerät starrte, und keiner hat mit dem anderen gesprochen. Es geht darum, weniger Geräte einzusetzen. Und man muss auch nicht, wie in unserer Wohngemeinde, schon im Kindergarten Tablets zur Unterstützung des Unterrichts einsetzen. Die Kinder sind ohnehin schon extrem digitalaffin, sie gamen, oft unbemerkt von Eltern und Betreuungspersonen. Das muss man nicht noch in jungen Jahren pushen.
Was sagst du jenen Leuten, die argumentieren, die Kinder müssten den richtigen Umgang mit Social Media erlernen; ein Verbot würde das ja verunmöglichen?
Das eine schliesst das andere nicht aus. Unsere Petition verbietet das Handy nicht generell. Es ist ja nicht alles schlecht, was man im Internet findet und die Telefonfunktion des Handys zum Abmachen halte ich durchaus für sinnvoll. Es gibt also noch ausreichend viele Möglichkeiten, Kompetenzen im Umgang mit den digitalen Geräten zu erwerben. Vielmehr aber darf man sich fragen, ob die Social-Media-Plattformen lebensnotwendig und sinnvoll sind. Leider hat Cyber-Mobbing stark zugenommen.
Grundsätzlich wehrst du dich – so schätze ich dich ein – gegen eine Verbotskultur und gegen staatliche Bevormundung. Warum weichst du in diesem Punkt von deiner liberalen Grundhaltung ab?
Ja, ich bin für Eigenverantwortung und ich stehe für eine liberale Haltung. Es gibt Themen, wo man mit einer fundamentalen liberalen Gesinnung an die Grenze stösst – bei den Themen Drogen, Alkohol und Tabak. Der Jugendschutz – Verbote – stellt heute niemand mehr in Abrede. Heute wissen wir, dass der Social-Media-Konsum genauso süchtig machen kann und dass er noch das grössere Problem als Tabak und Alkohol darstellt. Darum halten wir gesetzliche Grundlagen und eine Altersverifizierung für sinnvoll.
Welche Plattformen stehen eigentlich im Fokus?
Generell die Social-Media Plattformen wie Instagram, TikTok, Snapchat. Eine Liste kann man nicht machen, weil es laufend neue Plattformen gibt, mit spezialisierten Inhalten, wie Pornografie, Gewaltverherrlichungen, Schönheitstipps und gefährlichen Challenges. Buben erliegen eher der Faszination der Gewalt, Mädchen dem Schönheitsideal.
Was ist mit SMS und alle anderen erdenklichen Hybrid-Formen von Social-Media – YouTube mit der Chatfunktion oder die Austauschplattformen, die Spiele wie Minecraft bieten. Siehst du ein Totalverbot nicht als Problem der Umsetzung?
Gut, dass die «Games» angesprochen werden. Das zeigt, wo man ansetzen kann. Viele Spiele haben eine Alterslimite. Genau dies gibt den Eltern Sicherheit und eine Entscheidungsgrundlage, wo sich ihre Kinder aufhalten dürfen. Momentan sind die gängigen Plattformen TikTok, Snapchat und Instagram, die Problemzonen für die Kinder, Orte, wo sie ihre Hauptzeit «verbraten», Filme herstellen und Fotos hochladen. Das beansprucht teilweise die ganze Freizeit. WhatsApp sehe ich weniger als Social-Media-Plattform, eher als Kommunikationskanal ein. Ich fände es gut, wenn sich der Bund damit einmal eingehend auseinandersetzt.
"Ich stehe für eine liberale Haltung. Aber es gibt Themen, wo man mit einer fundamentalen liberalen Gesinnung an die Grenze stösst – bei den Themen Drogen, Alkohol und Tabak. Die Social-Media-Sucht der Jugendlichen gehört dazu."
Nina Fehr Düsel Tweet
Ein Verbot stösst in vielen Kreisen auf Skepsis, weil die Einführung eines Schutzalters für Jugendliche Kontrolle und Überwachung bedarf. Gerade vor dem Hintergrund der Diskussionen um die E-ID oder den Digital-Act in Deutschland sind Vorstösse und Petitionen, die das begünstigen, heikel.
Ja, und ich bin völlig gegen einen Überwachungs- und Regulierungsstaat. Es stellen sich zwei Fragen: Die erste betrifft jene der Interessenabwägung: Was ist uns wichtiger? Gar keine Kontrolle oder einen Jugendschutz, Leitplanken oder völlige Freiheit. Die zweite Frage: Wie kann man im Internet und am Handy den Jugend- und Kinderschutz am besten umsetzen? Sicher reicht es nicht, wenn man einfach nur einen Button anklicken muss: «Ich bin über 18 Jahre alt». Es braucht wohl eine Altersverifizierung, vielleicht eine einfache Altersverifikation über die Handynummer. Die E-ID- ist eine ebenso denkbare Option. Ich bin ja hier in der Rechtskommission des Nationalrats und setze mich vehement dafür ein, dass das nicht zu weit geht: Datenerhebung nur in einem klar beschränkten Umfang und eine limitierte Datenspeicherung, keine Aushöhlung der Datenschutzvorgaben.
Bist du für die E-ID?
Weder dafür noch dagegen, aber ich halte sie für prüfenswert bei Kinderschutzthemen. Der Staat darf keinesfalls die Leute ausspionieren. Aber umgekehrt soll auch strafbares Handeln im Internet, Cyberkriminalität und Missbräuche besser geahndet werden können. Ich habe mich ja gegen zu viel Staat bei der Coronapandemie eingesetzt, weil ich viele Massnahmen – etwa die Maskenpflicht für Kinder – ungerechtfertigt hielt. Nun müssen wir ebenfalls genau hinschauen.
Würde dir auch ein flächendeckendes Handyverbot an den Volksschulen reichen?
Gäbe es ein flächendeckendes Handyverbot an allen Volksschulen der Schweiz, wäre schon viel erreicht. Nur die Freizeit unserer Kinder ist nicht abgedeckt. Ich muss es darum so sagen: Die Petition regt zunächst einmal an, sich mit den Auswirkungen des Social-Media-Verhaltens unserer Jugend auseinander zu setzen. Wir müssen den Bundesrat dafür sensibilisieren. Langsam entsteht auch eine Bewegung dafür: Es sind im Frühjahr zwei parlamentarische Vorstösse eingereicht worden, die genauere Analysen verlangen. Zusammen mit der Petition bildet dies ein Nährboden, damit man sich den Problemen annimmt.
Die Hauptinitiative für die Petition kommt von Mitgliedern des Vereins «NextGen4Impact» (Nächste Generation mit Schlagkraft). Dieser Verein hat ein Logo für die Promotion der Initiative verwendet, das mit dem World Economic Forum (WEF) assoziiert ist. Läuten da bei Ihnen nicht die Alarmglocken?
Es ist Zufall, dass der Verein «NextGen4Impact» ein ganz ähnliches Logo wie das WEF verwendet. Und ich stehe solchen Bewegungen wie «Global Young Leaders» sehr kritisch gegenüber. So habe ich habe mich bei den beiden Petitionärinnen, zwei Unternehmerinnen aus Küsnacht auch gleich rückversichert: Die beiden Unternehmerinnen haben keinerlei Verbindung zum WEF – es gibt keine versteckte Agenda. Sie setzen sich alleine für den Kinderschutz und weniger Digitalisierung der Kinderwelt ein. Das unterstütze ich gerne mit meinem politischen und juristischen Knowhow.

"Es ist Zufall, dass der Verein «NextGen4Impact» ein ganz ähnliches Logo wie das WEF verwendet."