FAQ

Übersicht

Häufig gestellte Fragen

A. Grundsätzliches

Auch wenn der Anspruch auf ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht ein Grundrecht auf Bundesebene ist (Art. 19 BV): Das Schulwesen ist in der föderalistischen Schweiz (Art. 3 BV) Sache der Kantone (Art. 62 Abs. 1 BV). Abgesehen vom Grundschulobligatorium (Art. 62 Abs. 2 BV; Schulpflicht) sind die bundesrechtlichen Vorschriften im Bereich des Bildungswesens relativ spärlich. Zwar nennt die Bundesverfassung eine interkantonale Koordination im Bereich des Schuleintrittsalters, der Schulpflicht, der Dauer und Ziele der Bildungsstufen, der Übergänge zwischen den Bildungsstufen wie auch der Anerkennung von Abschlüssen als Ziel (Art. 62 Abs. 4 BV) und es sind mittlerweile auch bereits viele, bei Weitem jedoch nicht alle Kantone dem HarmoS-Konkordat – einem interkantonalen Vertrag – beigetreten. Dies ändert indes nichts daran, dass auch jenes Konkordat (zurecht) nur Grundzüge regelt und den Kantonen in diverser Hinsicht regulatorische Freiheit einräumt. Mit anderen Worten: Es ist das kantonale – und zwischen den Kantonen nicht unerheblich variierende – Recht, das im Regelfall schulbezogene Aspekte regelt. Dies ist auch der Grund, warum die vorliegenden FAQ oft an der Oberfläche bleiben (müssen) und keinesfalls Anspruch auf Vollständigkeit erheben können. Soweit auf kantonales Recht eingegangen wird, erfolgt die Darstellung primär anhand der Regelungen des Kantons Zürich, wobei punktuell auch die Rechtslage in benachbarten Kantonen beleuchtet wird.

Was in Covid-Zeiten begonnen hat, setzt sich bis heute fort: Regelmässig erreichen uns Anfragen von Mitgliedern (Lehrerinnen, Lehrern und Eltern) zu rechtlichen Aspekten rund um den Schulalltag. Die Geschäftsleitung des Lehrernetzwerks Schweiz nimmt dabei eine Triage vor und entscheidet, ob eine Anfrage intern beantwortet oder an einen Vertrauensjuristen weitergeleitet wird. Mitglieder des Lehrernetzwerks Schweiz profitieren dabei regelmässig von einer Stunde kostenloser Erstberatung, bevor die vermittelte Rechtsvertretung auf privater Basis zu mandatieren wäre, sollte weitergehender Bedarf bestehen. Ein Anspruch auf Beantwortung besteht aber nicht bzw. behalten wir uns vor, gewisse Anfragen – insbesondere solche ohne jeden Bezug zu unserem Vereinszweck oder bei banalen Fragen, die ohne Weiteres durch minimale (Internet-)Recherchen selber beantwortet werden können – nicht zu beantworten. Hingegen sind wir sehr gerne bereit, bei Fällen von grundsätzlicher Bedeutung (d. h. bei Auswirkungen einer gerichtlichen Klärung für viele Betroffene über den konkreten Einzelfall hinaus) eine Prozessfinanzierung zu übernehmen oder organisieren (z. B. Spendenaufruf).

Angesichts dessen, dass die Jahresprämie für eine Privatrechtsschutzversicherung (Einzelperson; nicht wesentlich teurer für die gesamte Familie) etwa so hoch ist wie das Honorar für 1-2 Std. Anwaltsarbeit, ist der Abschluss einer solchen dringend zu empfehlen. Hinzu kommt, dass Rechtsschutzversicherungen regelmässig auch für Beweisführungskosten (z. B. Gutachten) oder – im Unterliegensfall – die  Gerichtskosten aufkommen. Dabei ist die für die konkreten Bedürfnisse am besten geeignete Rechtsschutzversicherung – einschliesslich individuellem Deckungsumfang – sorgfältig auszuwählen. Denn während Arbeitsrecht – aus Lehrersicht ist zudem stets abzuklären, ob auch Streitigkeiten mit staatlichen Arbeitgebern übernommen werden – regelmässig Bestandteil der Grunddeckung ist, bieten bei Weitem nicht alle Versicherungen Rechtsschutz bei Streitigkeiten mit Schulbehörden oder der KESB. So sehr der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung also eine Frage weiser Absicherung ist, gilt es zugleich auch, genug Zeit in das Vergleichen der verschiedenen Anbieter zu investieren bzw. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB/AGB) in Bezug auf den Versicherungsumfang genau zu prüfen.

B. Lehrpersonalrecht

Gemäss Art. 342 Abs. 1 lit. a OR gehen eidgenössische, kantonale und kommunale Vorschriften über das öffentliche Personalrecht für Staatsangestellte dem privaten Arbeitsrecht vor. Das OR-Arbeitsrecht ist auf die Anstellungsverhältnisse von Lehrerinnen und Lehrern damit nicht direkt anwendbar, kann aber jedenfalls dann (sinngemäss) einschlägig sein, wenn das (meist kantonale) Personalrecht ergänzend auf das OR verweist. Die auf Arbeitsverhältnisse von Lehrern und Lehrerinnen anwendbaren Rechtsgrundlagen variieren damit interkantonal teilweise stark und hängen nicht zuletzt auch von der Schulstufe ab (Volksschule, Mittelschule, Berufsschule), auf welcher eine Person unterrichtet. Zentral ist dabei – insbesondere im Hinblick auf eine allfällige Beschreitung des Rechtswegs – regelmässig die Unterscheidung, ob ein Arbeitsverhältnis durch Verfügung (so insbesondere im Kanton Zürich: § 12 Abs. 1 PG/ZH i.V.m. § 2 LPG/ZH) oder öffentlich-rechtlichen Vertrag (so etwa § 3 Abs. 1 GAL/AG oder Art. 64 VSG/SG bzw. 51 Abs. 1 MSG/SG) begründet wird. Eine Verfügung ist dabei eine einseitige Willenserklärung der Anstellungsbehörde, während der Vertrag beidseitig ist und auch die Unterschrift der angestellten Person trägt.

Kommt es zu einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses, richtet sich – wie erwähnt – der Rechtsweg in erster Linie danach, ob eine Person mittels Verfügung oder öffentlich-rechtlichem Vertrag angestellt ist bzw. war. Während im Kanton Zürich gegen die Kündigungsverfügung unmittelbar Rekurs zu erheben ist (§ 10 LPG/ZH) und sich der Rechtsweg grundsätzlich nach den Bestimmungen über die gewöhnliche Verwaltungsrechtspflege richtet (§ 33 PG/ZH), ist im Falle öffentlich-rechtlicher Verträge der Rechtsweg öfters weniger klassisch. So ist in den Kantonen Aargau und St. Gallen zunächst ein Schlichtungsverfahren bei einer auf Personalrecht spezialisierten Kommission zu durchlaufen, wobei erst dann, wenn es zu keiner Einigung kommt, der Weg der öffentlich-rechtlichen Klage offensteht (§ 35 ff. GAL/AG; Art. 71bis VSG/SG i.V.m. 55 MSG/SG i.V.m. 78 ff. PersG/SG). Zu beachten ist, dass im Personalrecht oftmals keine Verfahrenskosten erhoben werden (selbst im Falle eines Unterliegens), was es indes stets im Einzelfall abzuklären gilt. Im Kanton Zürich etwa ist das personalrechtliche Rekursverfahren per se kostenfrei (§ 13 Abs. 3 VRG/ZH), das (oberinstanzliche) verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren hingegen nur bis zu einem Streitwert von CHF 30‘000 (§ 65a Abs. 3 VRG/ZH). Das Honorar für eine private Rechtsvertretung ist zudem stets von den Gerichtskosten abzugrenzen, weshalb der Abschluss einer Rechtsschutzversicherung – wie erwähnt – so oder anders sehr zu empfehlen ist.

C. Rechte und Pflichten im Schulbetrieb

Auch diesbezüglich ist eine schweizweit einheitliche Antwort nicht möglich, gilt das nationale Datenschutzrecht doch nur für Private und Bundesbehörden (Art. 2 Abs. 1 DSG). Massgebend sind damit das kantonale Informations- und Datenschutzrecht sowie zugehörige Spezialerlasse. Im Kanton Zürich darf eine staatliche Behörde dabei gewöhnliche Personendaten bearbeiten, soweit dies zur Erfüllung seiner gesetzlich umschriebenen Aufgaben geeignet und erforderlich ist (§ 8 Abs. 1 IDG/ZH), besondere Personendaten – wie etwa Gesundheitsdaten (§ 3 Abs. 4 lit. a Ziff. 2 IDG/ZH) – jedoch nur dann, wenn eine ausdrückliche formellgesetzliche Grundlage besteht (§ 8 Abs. 2 IDG/ZH). Das Zürcher Volksschulrecht erlaubt dabei aufgrund der weitreichenden gesetzlichen Aufgaben der Schule auch die Bearbeitung besonderer Personendaten (§ 3a VSG/ZH). Zu beachten ist jedoch, dass beispielsweise in Bezug auf die schulärztliche Untersuchung die freie Arztwahl gewährleistet ist (§ 20 Abs. 2 VSG/ZH), die Eltern ihre Kinder also auch bei einem privaten Arzt – auf eigene Kosten bzw. zulasten der obligatorischen Grundversicherung – untersuchen lassen können. Was hingegen die obligatorische schulzahnärztliche Untersuchung betrifft (§ 51 Abs. 2 GesG/ZH), so besteht eine freie Zahnarztwahl nur dann, wenn die konkrete Schulgemeinde mit dem sog. Gutscheinmodell „Zürcher Schulzahnarztuntersuchung“ operiert und den Eltern die Wahlfreiheit gewährt, auf Kosten der Gemeinde die obligatorische Untersuchung bei einem privaten Zahnarzt ihrer Wahl durchführen zu lassen.

Das Absenzenwesen ist kantonal sehr unterschiedlich geregelt, wobei sich in Zeiten zunehmender interkultureller Durchmischung – Stichwort religiöse Feiertage oder Besuch der Verwandten im Heimatland auch ausserhalb der Schulferien – politisch strittige Fragen eröffnen, die in einer direkten Demokratie eigentlich eines parlamentarischen Kompromisses bedürften. Der Zürcher Kantonsrat wählte hingegen – wohl in der Annahme, das Absenzenwesen betreffe keine wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen, zu deren Erlass allein das Parlament zuständig wäre (Art. 38 Abs. 1 KV/ZH) – den für ihn einfacheren Weg und delegierte die Regelung des gesamten Absenzen- und Dispensationswesens kurzerhand an den Regierungsrat (§ 28 VSG/ZH). Dieser führte in der Folge zwei Jokertage pro Schuljahr ein, die jedem Kind voraussetzungslos zustehen (§ 30 Abs. 1 VSV/ZH). Darüber hinaus gilt die Grundregel, dass bei Absenzen bis zu 12 Schulwochen ein Dispensationsgesuch zu stellen ist, bei längeren Abwesenheiten – z. B. (beruflich oder privat bedingter) temporärer Aufenthalt der Kindseltern im Ausland – hingegen die Kinder von der Schule abzumelden sind (§ 28 Abs. 2 VSV/ZH). Aufgrund der bloss oberflächlichen Regelung des Dispensationswesens variiert die Praxis der einzelnen Schulgemeinden teilweise stark, obschon es sich beim Volksschulbereich eigentlich um eine kantonale Aufgabe handelte.

Einen 0815-Strategieplan für das optimale Verhalten im Konfliktfall gibt es nicht, da die auftretenden Streitigkeiten sehr unterschiedlich sind und stets auch psychologische Faktoren (Charaktere der konkret involvierten Personen, etc.) eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Wichtig ist aber ein selbstbewusster Auftritt, denn Angst und Konformismus bewirken gegenüber staatlichen Behörden regelmässig wenig. Wer bei Gesprächen mit Lehrern, Lehrerinnen oder Schulleitern umgehend die Erstellung von Protokollen oder Aktennotizen verlangt (oder bei Weigerung die Vorkommnisse selber verschriftlicht und seine Sicht der Dinge – allenfalls per Einschreiben – der Gegenseite höflich, aber bestimmt mitteilt) oder sich in einer kritischen Situation von einer Vertrauensperson oder einem Rechtsbeistand begleiten lässt (oft ist dies die günstigere Investition als die Vertretung in einem späteren Rechtsmittelverfahren), verschafft sich häufig Respekt und wird tendenziell (wenn auch nicht immer) ernster genommen. Gerade im Umgang mit Schulen fällt zudem öfters auf, dass Schulleitungen oder Schulverwaltungen, die sich eine tägliche Autoritätsfunktion gegenüber Schülern und Lehrern gewohnt sind, ihre Kompetenzen teils überschätzen und nicht realisieren (wollen), dass sie im Streitfall für den Erlass einer anfechtbaren Verfügung gar nicht zuständig sind, sondern – je nach kantonaler Regelung – beispielsweise die Schulpflege (§ 75 Abs. 1 VSG/ZH als Grundnorm) oder der Gemeinderat (§ 9 Abs. 2 Promotionsverordnung/AG in Bezug auf den Übertritt vom Kindergarten in die Primarschule). Daher bietet es sich an, früh genug um einen verbindlichen Entscheid des zuständigen Gremiums zu ersuchen, wenn sich eine Uneinigkeit abzeichnet. Dies umso mehr, als im Bildungsrecht die Zeit ein zentraler Faktor ist bzw. bei zeitlich knapper Rechtsmitteleinreichung kein Weg an vorsorglichen Massnahmen (sog. einstweiliger Rechtsschutz für die Dauer des laufenden bzw. rechtshängigen Verfahrens) vorbeiführt, wobei – egal wie der Fall ausgeht – der damit verbundene Schwebezustand für die Betroffenen oftmals unangenehm ist.

D. Schule und KESB

Gemäss Art. 314d Abs. 1 Ziff. 1 ZGB sind mitunter Fachleute aus den Bereichen Betreuung, Bildung oder Erziehung, die beruflich regelmässig Kontakt zu Kindern haben und nicht dem Berufsgeheimnis nach dem StGB unterstehen, zur Meldung an die KESB verpflichtet, wenn konkrete Hinweise dafür bestehen, dass die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität eines Kindes gefährdet ist und sie der Gefährdung nicht im Rahmen ihrer Tätigkeit Abhilfe schaffen können. Daraus folgt, dass Lehrerinnen und Lehrer sowie weitere Schulmitarbeitende grundsätzlich nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sind, eine Gefährdungsmeldung an die KESB zu machen, wenn konkrete Hinweise auf eine Gefährdung des Kindeswohls bestehen. Jene zivilrechtliche Meldepflicht stellt damit einen Rechtfertigungsgrund nach Art. 14 StGB dar, um vom Amtsgeheimnis nach Art. 320 StGB abzuweichen (BSK StGB-Oberholzer, Art. 320 N 12). Zwar – infolge besonderem Vertrauensverhältnis – nicht zur Strafanzeige verpflichtet, sehr wohl aber berechtigt sind im Kanton Zürich zudem Lehrerinnen und Lehrer, wenn sie hinreichende Kenntnis von einer Straftat gegen ein Kind erlangen (Art. 302 Abs. 2 StPO i.V.m. § 167 Abs. 1 GOG/ZH).

 

Soweit zu den Melderechten und -pflichten von Lehrern und Lehrerinnen gegenüber Strafverfolgungsbehörden und KESB. Doch wie verhält es sich etwa mit Schulärzten, Schulpsychologen oder Schulzahnärzten, welche zudem dem Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB unterstehen? Diese Personengruppen sind mit Blick auf Art. 314c Abs. 2 ZGB nicht meldepflichtig, sondern nur meldeberechtigt. Diesfalls müssen sie sich nicht vorgängig vom Berufsgeheimnis entbinden lassen (Art. 314e Abs. 2 ZGB i.V.m. 321 Ziff. 3 StGB; ebenso: BSK StGB-Oberholzer, Art. 321 N 32). Zu beachten ist jedoch, dass sich das Melderecht in diesen Fällen allein auf den Berufsgeheimnisträger beschränkt, nicht jedoch auf dessen Hilfspersonen, insbesondere Angestellte (Art. 101 Abs. 1 OR). Praxisangestellte eines Schularztes verfügen ergo über kein Melderecht, sondern liegt der Entscheid über dessen Ausübung allein bei der Medizinalperson. Wie beim Amtsgeheimnis bildet auch hier das Melderecht einen Rechtfertigungsgrund (Art. 14 StGB).

Ist das Wohl des Kindes gefährdet und sorgen die Eltern nicht von sich aus für Abhilfe oder sind sie hierzu ausserstande, so trifft die Kindesschutzbehörde nach Art. 307 Abs. 1 ZGB die geeigneten Massnahmen zum Schutz des Kindes. Sie kann insbesondere die Eltern, die Pflegeeltern oder das Kind ermahnen, ihnen bestimmte Weisungen für die Pflege, Erziehung oder Ausbildung erteilen und eine geeignete Person oder Stelle bestimmen, der Einblick und Auskunft zu geben ist (Art. 307 Abs. 3 ZGB). Erfordern es die Verhältnisse, so kann auch ein Beistand ernannt werden, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat unterstützt (Art. 308 Abs. 1 ZGB) oder das Kind etwa im Zusammenhang mit der Wahrung seines Unterhaltsanspruchs vertreten oder den persönlichen Verkehr überwachen kann (Art. 308 Abs. 2 ZGB), wozu eine Beschränkung der elterlichen Sorge möglich ist (Art. 308 Abs. 3 ZGB). In Extremfällen, d. h. wenn der Kindeswohlgefährdung nicht anders begegnet werden kann, hat die Kindesschutzbehörde das Kind den Eltern wegzunehmen und in angemessener Weise andernorts unterzubringen bzw. fremdzuplatzieren (Art. 310 Abs. 1 ZGB). Möglich ist ferner ein Entzug der elterlichen Sorge, wenn die Eltern wegen Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen, Abwesenheit, Gewalttätigkeit oder ähnlichen Gründen ausserstande sind, die elterliche Sorge pflichtgemäss auszuüben oder wenn die Eltern sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert oder ihre Pflichten diesem gegenüber in grober Weise verletzt haben (Art. 311 Abs. 1 ZGB). Die Eskalationsspirale möglicher Massnahmen zum Schutz des Kindes ist damit sehr gross und kommt es im Familienrecht in besonderem Masse auf den konkreten Einzelfall an. Entgegen teilweise geäusserter Kritik ist nach hier vertretener Auffassung die KESB auch nicht primär und grundsätzlich eine übermächtige Behörde, die ihre Macht missbraucht. Vielmehr sind in der Praxis beide Extreme anzutreffen: einerseits effektiv unverhältnismässige, rational kaum begründbare Massnahmen, zugleich aber auch Fälle, in denen trotz augenfälliger Kindeswohlgefährdung klare Indizien (zu lange) ignoriert werden, wobei die Gründe dafür oft auch „nur“ in der beschränkten Fachkompetenz gewisser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denn eigentlichem Machtmissbrauch, der natürlich immer möglich ist, liegen dürften.

 

Gegen Entscheide der KESB kann Beschwerde beim zuständigen kantonalen Gericht erhoben werden (Art. 314 Abs. 1 i.V.m. 450 Abs. 1 ZGB), dabei in der Regel innert 30 Tagen (Art. 450b Abs. 1 ZGB), innert nur 10 Tagen hingegen bei fürsorgerischen Unterbringungen (Art. 450b Abs. 2 ZGB). Soweit das kantonale Recht nichts Besonderes bestimmt, richtet sich das Verfahren des Weiteren nach der Zivilprozessordnung (Art. 450f ZGB). Im Kanton Zürich ist erstinstanzliche Beschwerdeinstanz in der Regel der Bezirksrat (§ 63 Abs. 1 EG KESR/ZH), der diesfalls ausnahmsweise als unabhängiges Gericht gilt (BGE 139 III 98), bei fürsorgerischen Unterbringungen das Einzelgericht des Bezirksgerichts (§ 62 EG KESR/ZH). Zweitinstanzliche Beschwerdeinstanz ist sodann das Obergericht (§ 64 EG KESR/ZH), bevor schliesslich noch das Bundesgericht angerufen werden kann (Art. 74 Abs. 2 lit. b Ziff. 6 BGG).

E. Alternativen zum staatlichen Schulwesen

Diesbezüglich ist – im Gegensatz zu KESB-bezogenen Fragen – aufgrund der kantonalen Zuständigkeit für das Schulwesen (Art. 62 Abs. 1 BV) erneut keine schweizweit gültige Antwort möglich. Fest steht aber, dass beispielsweise der Kanton Aargau  betreffend Homeschooling sehr liberal ist. Auch der Kanton Zürich lässt nicht unerheblichen Spielraum zu, gilt dort doch als Privatunterricht der Einzelunterricht oder der Unterricht in einer Gruppe bis zu fünf Schülern (§ 69 Abs. 1 VSG/ZH). Erst wenn der Privatunterricht länger als ein Jahr dauert, muss er im Kanton Zürich von einer Person mit abgeschlossener Lehrerausbildung erteilt werden (§ 69 Abs. 3 VSG/ZH). Mit anderen Worten entspricht es dem klaren Willen des Zürcher Gesetzgebers, dass Eltern ein Jahr lang ihre Kinder auch dann privat unterrichten dürfen, wenn sie über kein Lehrdiplom verfügen, was mit Blick auf die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) und das Recht auf Privat- und Familienleben (Art. 8 EMRK) sehr zu begrüssen ist. Zu beachten ist indes, dass mit Blick auf das Grundschulobligatorium (Art. 62 Abs. 2 BV) eine Grundlage in der Bundesverfassung selbst enthalten ist, um die Individualfreiheit einzuschränken. Es liegt mithin in der Kompetenz der Kantone, ob sie den Besuch einer staatlichen Schule vorschreiben oder auch bloss eine staatliche Aufsicht über Privatschulen oder Privatunterricht genügen lassen. Ob sich ein Totalverbot jeglicher Privatbeschulung noch mit den bundesrechtlichen Vorgaben vereinbaren liesse, ist an dieser Stelle nicht im Detail zu beantworten. Klar ist hingegen, dass die kantonalen Spielräume relativ weitreichend sind, was nicht ohne Grund einen interkantonalen „Homeschoolingtourismus“ bewirkt hat.

Dies hängt mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zusammen, denn zwar gewährleistet Art. 19 BV den Anspruch auf einen ausreichenden und unentgeltlichen Grundschulunterricht. Allerdings konkretisiert Art. 62 Abs. 2 BV diesen dahingehend, dass der Grundschulbesuch an öffentlichen Schulen unentgeltlich ist. Aus diesen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen folgt, dass der Anspruch auf kostenlosen Grundschulunterricht grundsätzlich am Wohnort der Schüler besteht (BGE 129 I 12, E. 4.2) und die Kantone bundesrechtlich nicht verpflichtet sind, die freie Schulwahl zu ermöglichen (BGer 2C_561/2018, E. 3.2). Gewiss: Die liberale Idee von Bildungsgutscheinen – so bereits der bekannte Ökonom Milton Friedman, ein Vertreter der Chicago School – ist sehr wertvoll und kann politisch nicht oft genug proklamiert werden, liesse sich der staatliche Grundschulunterricht doch gewiss auch dergestalt umsetzen, dass Eltern Gutscheine erhielten, die sie ihrerseits bei (staatlichen oder privaten) Schulen einlösen könnten, was nicht nur den (leistungsfördernden) Bildungswettbewerb erhöhte, sondern auch das Angebot im Durchschnitt ziemlich sicher bedarfsgerechter wäre. Im System der Gewaltenteilung ist darüber aber eine politische Debatte zu führen und – auf lange Sicht – zu hoffen, dass die Incentives von mehr Liberalismus und Wettbewerb sich im freien Diskurs durchsetzen.

In diesem Zusammenhang gilt es primär zwei zentrale Themenfelder zu beachten. Einerseits die Unzumutbarkeit des Schulbesuchs am Wohnort, andererseits den Bereich sonderpädagogischer Massnahmen für Kinder mit besonderem – oft, nicht aber immer behinderungsbedingtem – Förderungsbedarf.

 

Ist die Entwicklung des Kindes am ordentlichen Schulort ernsthaft gefährdet und gelingt es den Schulbehörden nicht, die Situation durch adäquate Massnahmen wirksam zu entschärfen, muss die zuständige Gemeinde den unentgeltlichen Schulbesuch diesfalls ausnahmsweise auch auswärts gewährleisten, wobei eine solche Ausnahmesituation nur zurückhaltend anzunehmen ist (BGer 2C_982/2019, E. 5.2). Zu beachten ist jedoch, dass dies noch nichts darüber aussagt, ob die Unzumutbarkeit des Schulbesuchs am Wohnort – z. B. infolge Mobbing seitens anderer Schulkinder oder chronifizierter, nicht (massgeblich) von den Eltern oder dem Kind verschuldeter Konflikte – im konkreten Fall die Kostenübernahme für eine Privatschule bewirkt, ist doch grundsätzlich auch die Zuweisung an eine andere staatliche Schule denkbar und regelmässig eine (im Rechtssinne) gleichwertige Option zur Konfliktentschärfung.

 

Andererseits besteht auch unter dem Titel Nachteilsausgleich bzw. sonderpädagogische Massnahmen Anspruch auf eine geeignete Sonderschulung für Kinder mit Behinderungen, der seinerseits nicht nur aus Art. 19 BV, sondern zudem auch Art. 8 Abs. 4 BV abgeleitet wird (BGer 2C_227/2023, E. 4.2 und 4.3). Auch diesfalls besteht nicht direkt ein Anspruch auf Übernahme von Privatschulkosten, doch sind es regelmässig faktische Verhältnisse, die zu einer Zuweisung an eine Privatschule führen, weil gerade kleinere Gemeinden oftmals über kein geeignetes eigenes (z. B. heilpädagogisches) Angebot für Kinder mit nicht alltäglichen Bedürfnissen und/oder Behinderungen verfügen. Da dies für eine Gemeinde mit Mehrkosten verbunden ist, kann es im Einzelfall nötig sein, die entsprechenden Ansprüche im Interesse des eigenen Kindes auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Soweit dabei behinderungsbedingte Benachteiligungen betreffend Ausgestaltung des Bildungsangebots streitig sind, besteht sodann Kostenfreiheit im kantonalen Verfahren (Art. 10 Abs. 1 i.V.m. 8 Abs. 2 i.V.m. 2 Abs. 5 lit. b BehiG). Hervorzuheben ist schliesslich erneut, dass bei Weitem nicht alle sonderpädagogischen Massnahmen auf Behinderungen zurückzuführen sind, wie nur schon an der Kantonszürcher Regelung ersichtlich wird, gemäss der sonderpädagogische Massnahmen generell Schülerinnen und Schüler „mit besonderen pädagogischen Bedürfnissen“ zustehen (§ 33 Abs. 1 VSG/ZH), wobei solche gemäss der zugehörigen Verordnungsregelung insbesondere aufgrund ausgeprägter Begabung, Leistungsschwäche, Erlernens von Deutsch als Zweitsprache, auffälliger Verhaltensweisen oder Behinderungen entstehen können (§ 2 Abs. 2 VSM/ZH).

F. Politisch brisante Themenfelder

Zwar sind Dispensationen für einzelne Fächer zugunsten des Unterrichts in anderen Fächern oder Lerninhalten grundsätzlich zulässig (§ 29a Abs. 1 und 2 VSV/ZH). Auf Sexualkundeunterricht bezieht sich jene Regelung – auch wenn sie eine entsprechende Dispensation nicht von Vornherein ausschliesst – indes tendenziell nicht. So hat das Bundesgericht nämlich in einem Fall aus dem Kanton Basel-Stadt erwogen, dass Eltern bzw. Kinder sich nicht mit Erfolg auf den Schutz des Privat- und Familienlebens, die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder die persönliche Freiheit berufen können, um einen Anspruch auf Dispensation vom Sexualkundeunterricht abzuleiten (BGer 2C_132/2014, E. 4 und 5). Vielmehr ist dieser grundsätzlich dem Bereich des obligatorischen Grundschulunterrichts zuzurechnen, was insoweit überzeugt, als durchaus ein öffentliches Interesse an (altersgerechter) sexueller Aufklärung besteht, um etwa Teenagerschwangerschaften, die Übertragung von Geschlechtskrankheiten oder Pädophilie – die naturgemäss einfacher möglich ist, wenn Kinder die sexuelle Natur gewisser Vorgänge (noch) nicht richtig einzuordnen wissen – zu minimieren. Dies bedeutet aber noch lange nicht, dass auf dieser Basis im Sexualkundeunterricht woke Ideologien vermittelt werden sollten, die im Ergebnis oft auf eine antinaturwissenschaftliche Abkehr von der biologischen Geschlechterordnung hinauslaufen. Denn auch wenn das Bundesgericht kürzlich in äusserst problematischer Weise entschieden hat, die (ordentliche) Kündigung eines Schaffhauser Gymilehrers, der sich geweigert hatte, ein Kind, das sich als Transgender identifiziert hat, plötzlich nur noch mit seinem männlichen (sozialen) Rufnamen anzusprechen, sei zulässig (BGer 8C_385/2022), besteht aktuell weiterhin keine Verpflichtung, im Sexualkundeunterricht nicht naturwissenschaftliche Inhalte zu vermitteln. Vielmehr wäre es mit Blick auf das staatliche Neutralitätsgebot äusserst problematisch, wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer im Unterricht ein fundamental-religiöses Sexualbild vermitteln oder – als anderes Extrem – vertreten würde, dass es für die Persönlichkeitsentwicklung besonders „wertvoll“ sei, wenn man sich täglich wieder für ein neues Geschlecht entscheide bzw. jene eigene Diversität offen zelebriere. Der Staat soll sich seinem Auftrag entsprechend möglichst weitgehend aus der Intimsphäre des Einzelnen raushalten und sich auf wertneutrale Wissensvermittlung beschränken. Sollte dies in einzelnen Schulen konträr praktiziert werden, dürften sich Eltern wohl ohne schlechtes Gewissen bei der Schulleitung beschweren, dabei durchaus auch in Koordination mit anderen Eltern. In zahlreichen Kantonen wäre zudem das Einlösen eines Jokertags (vgl. Frage 7) denkbar, wenn es um konkrete Thementage ginge (wie z. B. den letztlich abgesagten Gender-Tag in Stäfa).

Diese Frage ist noch weniger einfach zu beantworten als jene zum Sexualkundeunterricht, fehlt hierzu doch noch jegliche Rechtsprechung. In aller Kürze lässt sich aber festhalten, dass sich zwar nur Hochschullehrer und -lehrerinnen und Studenten auf die Wissenschaftsfreiheit nach Art. 20 BV berufen können, um ihre Texte genderfrei zu verfassen (auf die Frage, ob gegenteilige Korrekturleitfäden einzelner Unis auf dieser Basis noch verfassungskonform sind, wird vorliegend nicht eingegangen), zugleich aber auch das Willkürverbot (Art. 9 BV) Schutz vor sinn- und zwecklosen oder in sich widersprüchlichen Regelungen bietet (zur Willkür in der Rechtsetzung näher: BGE 129 I 1, E. 3). So dürfte es jedenfalls kaum rechtmässig sein, im Deutschunterricht eine Schreibweise entgegen der offiziellen Rechtschreibung zu verlangen oder eine Verpflichtung vorzusehen, ältere Literatur- oder Gesetzestexte künstlich zu modernisieren bzw. diese nicht mehr wörtlich zu zitieren. Zu betonen ist zugleich aber auch, dass die öffentliche Debatte diesbezüglich zumindest teilweise von Schreckgespenstern geprägt ist und die Rechtmässigkeit einer konkreten Regelung erst beurteilt werden kann, wenn diese überhaupt vorliegt. Wichtig ist aber auf jeden Fall, auf politischer Ebene entsprechenden (bevormundenden) Denkverboten deutlich entgegenzutreten, solange die Förderung kritischen, eigenständigen und unabhängigen Denkens weiterhin ein zentrales Bildungsziel sein soll, wie es (eigentlich) einer offenen und freien Gesellschaft würdig ist.

Auch diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, fehlt es doch nahezu vollständig an diesbezüglichen Präjudizien. Auf Gymnasialstufe verlangt etwa die Zürcher Kantonsschule Enge, dass neu eintretende Schüler und Schülerinnen per Schulanfang einen eigenen Laptop bzw. Tablet-Computer mitbringen müssen. Diverse Gymnasien handhaben dies ähnlich. Wie es sich bei jüngeren Kindern verhält, ist offen bzw. aktuell im Fluss. Nach hier vertretener Auffassung sind Wahlrechte gegenüber staatlichen Zwängen jedenfalls fast immer vorzuziehen und so wichtig der Umgang mit digitalen Arbeitsgeräten in der heutigen Zeit auch ist, darf der kognitive Lernfortschritt durch handschriftliches Niederschreiben von Texten keinesfalls vernachlässigt werden. Wenig überzeugend ist nach vorliegender Ansicht ebenso, wenn obligatorische Lehrmittel zwar von der Schule bezahlt werden, nicht aber obligatorisch zu beziehende Digitalgeräte, wenn man sich vor Augen führt, dass ein Geschäftslaptop dem Arbeitnehmer grundsätzlich auch vom Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen ist (für das private Arbeitsrecht: Art. 327 Abs. 1 OR). Es scheint jedenfalls, als ob diesbezüglich weder politisch noch gerichtlich das letzte Wort gesprochen wäre.

Autor: RA MLaw Artur Terekhov, terekhov-law.ch